Das klingt hochtrabend, beschreibt aber ziemlich genau die Lebenswirklichkeit dieser Unternehmer.
Die klassische Betriebswirtschaftslehre lehrte mich kausal-logisches Denken: was wir vorhersagen können, können wir steuern. Spätestens bei der Berührung mit dieser These begann ich während meines Studiums zu zweifeln. Für mich war es unrealistisch, das Verhalten unserer Kunden und den Ausgang der Geschäftsvorgänge unseres Familienunternehmens auch nur ansatzweise vorher sehen zu können. Und jeder Versuch, aufgrund der Vorhersage zu steuern, fühlte sich für mich an, wie das Pferd von hinten aufzuzäumen.
Weiter lehrte mich die klassische BWL, entscheidungstheoretische Modelle und Methoden anzuwenden, um Entscheidungen unter Unsicherheit und Ungewissheit zu treffen. Auch dies war ein harter Brocken für mich, war doch eigentlich jede unternehmerische Entscheidung in unserem Betrieb davon geprägt, dass wir nicht wussten, was genau am Ende dabei herauskommen würde. Unternehmerisches Risiko eben. Und die Sicherheit sollte ich mir darüber holen, Modelle anzuwenden und zu berechnen? So kehrte ich nach dem Abschluss des Studiums der klassischen BWL den Rücken zu und lernte mit der Zeit, meine Modelle und Theorien aus der Praxis und dem realen Unternehmerleben zu ziehen und für mich und dann auch meine Kunden anzuwenden.
Dabei wurde ich von folgenden Fragen geleitet: Wer bin ich und was kann ich? Welche finanziellen Mittel stehen mir zur Verfügung? Welche weiteren Ressourcen und Kräfte in Form von Wissen, Kontakten, Netzwerken und sonstiges habe ich? Was genau kann und will ich damit erreichen? Und welche positiven Nebeneffekte gibt es, auch wenn ich das Ziel nicht genau erreichen kann? Und wie hoch ist das Risiko, das ich dafür bereit bin, einzugehen und zu tragen? Schließlich der Glaube: Wenn ich mich erst mal entschieden habe, diesen Weg zu gehen, geschehen unerwartete Ereignisse, die ich in mein Handeln integrieren kann um Neues daraus zu entwickeln. Dies war die Art, wie in unserem Unternehmen grundlegend gearbeitet wurde. Sehr “hemdsärmelig” und “aus dem Bauch”, wie ich fand.
Heute hat diese Arbeitsweise einen Namen: Effectuation (engl. die Ausführung). Dieser Ansatz ist ein aktuelles Ergebnis der globalen Entrepreneurship-Forschung und wurde von Professor Saras Sarasvathy (University of Virginia) begründet und mehrfach empirisch belegt und weiterentwickelt. Grundlegende Logik dieses Ansatzes: all das, was wir steuernd beeinflussen können, brauchen wir nicht vorherzusagen. Denn die Zukunft ist nicht vorhersehbar, aber gestaltbar.
Darauf basieren die Effectuation-Prinzipien erfolgreichen unternehmerischen Handelns:
- Basis für jedes Handeln ist die Mittelorientierung. Die verfügbaren Mittel bestimmen, welches veränderliche Ziel angestrebt wird (und nicht das Ziel bestimmt, welche Mittel akquiriert und eingesetzt werden).
- Der tragbare Verlust und der leistbare Einsatz bestimmen, wie ein Vorhaben umgesetzt wird und welche Gelegenheiten wahrgenommen werden (und nicht die in der Zukunft zu erwarteten Erträge).
- Partnerschaften erhöhen die Wirkungskraft und vergrößern das Gestaltungsfeld, denn jeder autonome Akteur bringt sein Wissen und seine Ressourcen ein, Vielfalt und kreatives Denken haben ein Fundament. 4. Zufälle und unerwartete Ereignisse werden nicht minimiert, sondern als unternehmerische Gelegenheiten und Chancen angesehen, um Innovationen zu entwickeln und Neues zu erfahren.
Erfolg ist damit das Resultat der kleine Schritte. Versuch und Irrtum ist ausdrücklich erwünscht, da es den Möglichkeitsraum für neue Erkenntnisse und Lernen vergrößert.
Was ich bei meinem Vater und Unternehmensgründer so locker als “Entscheidung aus dem Bauch” beschrieben hatte, findet in dieser Methode nun endlich ihren Namen: Planen ohne Plan. Das gelingt vor allen den Unternehmern, die sich im Hier und Jetzt auf gegebene Situationen einstellen können, auf das, was da ist und wie es sich verwenden lässt. Ohne dieses Talent wäre mein Vater in seiner Branche nicht so erfolgreich gewesen, wie er eben war.
Buchtipp: Effectuation, Wie erfolgreiche Unternehmer denken und entscheiden, Michael Faschinbauer, Schaeffer-Pöschel 2010